Krisenkommunikation nach dem Attentat in Hanau
Wir haben mit Lutz Hanus, dem Inhaber der Hanauer Agentur „digitalnaturals“ und erfahrener Experte für Krisenkommunikation, über das Attentat in Hanau am 19. Februar 2020 gesprochen. Gemeinsam mit seiner Agentur, die als langjähriger Partner der Stadt Hanau fungiert, übernahm Lutz die Kommunikation rund um das rassistisch motivierte Attentat. Bei diesem schrecklichen Angriff wurden an mehreren Orten in Hanau neun Menschen getötet – ein Ereignis, das die Stadt tief erschütterte und eine nationale Debatte über Rechtsextremismus und Rassismus auslöste.
Lutz gibt Einblicke in die Herausforderungen der Krisen-PR über Social Media und erläutert, wie er und sein Team in einer Extremsituation wie dieser sowohl respektvolle und sensible Botschaften als auch notwendige Informationen vermitteln konnten. Dabei wird deutlich, wie komplex und verantwortungsvoll Kommunikation in Krisenzeiten ist – und wie wichtig sie für die gemeinsame Verarbeitung und das Gedenken an die Opfer bleibt.
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Lutz Hanus
Lutz Hanus ist Agentur-Inhaber seit 2010, Podcaster und Podcast-Studio-Inhaber seit 2020, Social Media Dude seit MySpace und gelegentlich auch Speaker. Mit seiner Agentur konzipiert er für seine Kundinnen und Kunden kanalübergreifende Online- und Social-Media-Strategien, beginnend bei der Idee bis zur Content-Erstellung und Umsetzung. digitalnaturals* durfte in den letzten Jahren mehrmals den German Brand Award und auch den Deutschen Preis für Onlinekommunikation entgegennehmen.
Digitalnaturals als langer Partner der Stadt Hanau
Die Zusammenarbeit zwischen Lutz Hanus’ Agentur und der Stadt Hanau begann vor über zehn Jahren. Ihr erster gemeinsamer Schwerpunkt lag auf der digitalen Kommunikation rund um eine große Innenstadt-Baustelle, die auf Facebook begleitet wurde. Diese Phase war geprägt von Herausforderungen, darunter zahlreiche kritische Rückmeldungen und Shitstorms, die aus dem Unmut vieler Bürger über die Baustelle resultierten. Mit intensivem Community-Management und gezielter Aufklärung gelang es dem Team, die Anliegen der Menschen aufzugreifen und einen konstruktiven Dialog zu fördern.
Nach Abschluss des Projekts weitete sich die Zusammenarbeit aus: Lutz und sein Team unterstützten die Kommunikation während der Flüchtlingskrise 2015 und sind heute für das klassische Stadtmarketing der Stadt Hanau verantwortlich. Dazu zählen vielfältige Formate auf Social Media, wie etwa der beliebte Instagram-Kanal @hanau_erleben, der Einblicke in das Stadtleben bietet und die Identität der Stadt stärkt.
Das Attentat von Hanau
Der Täter, Tobias R., veröffentlichte vor der Tat ein Manifest und Videos, die seine rassistischen und verschwörungstheoretischen Überzeugungen darlegten. Nach den Morden tötete er schließlich seine Mutter und sich selbst. Die Behörden wurden aufgrund von Lücken im Waffenrecht und unzureichenden Überprüfungen seiner psychischen Gesundheit scharf kritisiert. Trotz Wahnvorstellungen und bekannter extremistischer Ansichten konnte der Täter legal Schusswaffen erwerben und trainieren. Bis heute fordern Hinterbliebene eine lückenlose Aufklärung und Konsequenzen, insbesondere in Hinblick auf institutionellen Rassismus und Versäumnisse bei der Prävention solcher Taten. Weitere Informationen zum Attentat von Hanau findet ihr in dieser Chronik.
Die neun Opfer waren: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, und Kaloyan Velkov. #saytheirnames
Krisenkommunikation: Die Reaktion der Stadt Hanau
Inmitten dieser Tragödie übernahm die Agentur digitalnaturals unter der Leitung von Lutz Hanus die Krisenkommunikation für die Stadt Hanau. Ziel war es, zeitnah respektvolle und einfühlsame Informationen bereitzustellen, die sowohl den Opfern und ihren Angehörigen als auch der Öffentlichkeit gerecht wurden. Dies beinhaltete den sensiblen Umgang mit Social Media, wo die Gefahr bestand, dass Falschinformationen oder Hetze die emotionale Lage verschärfen könnten.
Nach einer schlaflosen Nacht erhielt Lutz um 5 Uhr morgens einen Anruf von der persönlichen Referentin des Oberbürgermeisters. Sie informierte ihn, dass ein Krisenstab eingerichtet werde und seine Expertise im Bereich Social Media dringend benötigt werde. Während der Bürgermeister in der Nacht bereits erste Interviews für Radio und Fernsehen gab, konzentrierte sich Lutz vollständig auf die digitale Kommunikation. Bereits in den frühen Stunden hatte er Twitter und Facebook gescreent und dabei festgestellt, wie schnell sich Falschmeldungen verbreiteten. Für ihn war sofort klar: Die Aufklärung von Fake News musste oberste Priorität haben.
Nur ein Kanal
Eine der ersten Entscheidungen im Krisenstab war, die Kommunikation auf einen einzigen, zentralen Social-Media-Kanal zu beschränken. Dieser Hauptkanal war @hanau_erleben, der zu diesem Zeitpunkt die größte Reichweite hatte. Auf allen anderen städtischen Kanälen wurde ein schwarzes Bild als Zeichen der Trauer gepostet, ohne weitere Inhalte. Dieses Vorgehen sorgte für eine klare Linie und half, Verwirrung sowie widersprüchliche Botschaften zu vermeiden.
Social Listening im Einsatz
Eine der zentralen Aufgaben der Krisenkommunikation war das Social Listening, also das Beobachten und Auswerten der öffentlichen Reaktionen in den sozialen Medien. Dafür nutzte das Team das Tool Talkwalker, dessen Funktionen besonders hilfreich waren. Es kategorisierte Kommentare automatisch nach ihrer Tonalität – in positive, neutrale oder kritische Beiträge. So konnten die Meinungen schnell gefiltert und gezielt analysiert werden. Zusätzlich lieferte das Tool Informationen darüber, wo Kommentare gepostet wurden und wie sie sich weiterverbreiteten. Diese Funktionen halfen, ein präzises Meinungsbild zu erstellen und entsprechend darauf zu reagieren.
Die Tragödie verbreitete sich schnell über die deutschen Landesgrenzen hinaus und machte das Stichwort Hanau weltweit relevant. Nachrichten und Reaktionen erreichten Hanau aus Ländern wie Korea, China und Australien. Die Analyse dieser globalen Resonanz stellte das Team vor enorme Herausforderungen, die jedoch dank des Social Listening Tools effektiv gemeistert wurden.
Kommunikation in Extremsituationen: Ein Balanceakt
Lutz schildert die immense Verantwortung, die mit der Krisenkommunikation nach einem solch traumatischen Ereignis einhergeht. Als langjähriger Partner der Stadt Hanau war seine Agentur prädestiniert, in dieser Ausnahmesituation zu agieren. Entscheidend dabei war eine klare Kommunikationsstrategie, die sowohl auf Mitgefühl als auch auf sachliche Informationsvermittlung setzte. In diesem Zusammenhang gab es aber auch einige Herausforderungen, die zu meistern waren:
- Respektvolle und sensible Kommunikation: Der Angriff richtete sich gezielt gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Es war also essentiell, die Perspektive der Angehörigen und Gemeinschaften zu wahren und jede Botschaft mit größtem Feingefühl zu formulieren.
- Effiziente Informationsverbreitung: In einer Zeit der Unsicherheit mussten die Bürger umfassend informiert werden, ohne dabei Angst oder Panik zu schüren.
- Schaffung eines digitalen Gedenkraums: Social Media spielte eine zentrale Rolle, um kollektives Gedenken und Solidarität zu ermöglichen. Gleichzeitig war es wichtig, den Diskurs vor Hass Kommentaren zu schützen.
Die Bedeutung von #SayTheirNames
Ein zentraler Bestandteil der Krisenkommunikation war die Initiative #SayTheirNames, die die Namen der Opfer in den Fokus rückte. In Zeiten, in denen solche Tragödien oft von politischen und medialen Diskussionen überlagert werden, half diese Kampagne, die Menschlichkeit und die individuellen Geschichten der Opfer hervorzuheben. Durch diesen Ansatz wurde nicht nur den Opfern gedacht, sondern auch eine starke Botschaft gegen das Vergessen und den Hass gesendet.
Digitaler Umgang mit einer analogen Trauer
Ein besonders herausfordernder Aspekt war, dass sich die Trauerarbeit nicht nur in der analogen Welt abspielte. In einer zunehmend digitalen Gesellschaft war es entscheidend, auch online angemessene Räume zu schaffen. Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram wurden genutzt, um Anteilnahme zu ermöglichen und Solidarität zu zeigen. Lutz und sein Team verbanden digitale Expertise mit menschlichem Feingefühl. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, nicht zuletzt, weil sie auch in dieser Krisensituation innovative und empathische Kommunikationswege fanden.
Ein Lehrstück für die Krisenkommunikation
Die Reaktionen auf das Attentat in Hanau verdeutlichen, wie wichtig durchdachte Krisenkommunikation in solchen Extremsituationen ist. Sie kann dazu beitragen, eine Gemeinschaft zu stärken, den Opfern gerecht zu werden und einen Raum für kollektive Trauer zu schaffen. Lutz und seine Agentur digitalnaturals lieferten ein Beispiel dafür, wie sensible Themen mit Respekt und Professionalität behandelt werden können. Dabei wurde deutlich, dass Kommunikation mehr ist als nur die Verbreitung von Informationen – sie ist ein Mittel zur Heilung und zur Bekämpfung von Hass.
FAZIT
Die Ereignisse in Hanau haben nicht nur die Stadt, sondern die gesamte Gesellschaft erschüttert. Sie verdeutlichen die Bedeutung einer achtsamen und professionellen Krisenkommunikation, die sowohl Raum für Trauer als auch für notwendige gesellschaftliche Diskussionen schafft. Gleichzeitig bleibt der Fall ein Mahnmal für die Notwendigkeit, sich konsequent gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit zu stellen.
Die Namen der Opfer zu erinnern und ihre Geschichten sichtbar zu machen, ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Sie sind mehr als Opfer einer rassistischen Tat – sie sind Teil unserer Gesellschaft. #SayTheirNames
Solltest du Fragen oder Anmerkungen haben, schicke uns gerne eine E-Mail an hallo@amtshelden.de. Ihr kommt in eurer Stadt mit Social Media nicht wirklich voran? Dann haben wir vielleicht was für dich – schau dir mal unser Amtshelden-Programm an.
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